Die Multiplikatoren von morgen.

Anfang dieser Woche habe ich an der Wissenschaftlichen Fachtagung „Lebendige Kirche in neuen Strukturen. Herausforderungen und Chancen.“ im Schloss Hirschberg (einem Tagungshaus der Diözese Eichstätt) in Beilngries/Altmühltal teilgenommen. Diese Tagung steht in einer Reihe kirchenrechtlicher Fachtagungen, die gemeinsam von den entsprechenden Lehrstühlen, bzw. Seminaren der Johannes-Gutenberg-Universität zu Mainz und der Julius-Maxmilians-Universität zu Würzburg alle zwei Jahre veranstaltet werden.

Die diesjährige Tagung befasste sich also mit den Strukturen der Kirche. Genauer gesagt ging es dabei um eine Analyse der verschiedenen Strukturprozesse deutscher (und auch teilweise ausländischer) Diözesen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. Im Mittelpunkt stand die Frage, welche Möglichkeiten das Kirchenrecht bietet, solche Prozesse so durchzuführen, dass hernach auch eine Struktur herauskommt, die tragfähig ist und der Pastoral dient. Daneben wurde noch ein Fokus auf die Verbände, Ordensgemeinschaften und Geistlichen Bewegungen und deren Rolle, bzw. Funktion in dieser Situation gerichtet.

Ich kann hier nun nicht alle zehn Vorträge und Diskussionen wiederholen oder auch nur zusammenfassen. Während der Tagung hatte ich versucht, einige interessante Zitate per Twitter festzuhalten; nachzulesen hier in der Storify-Geschichte.
Stattdessen will ich ein etwas allgemeineres Fazit ziehen.

IMG_20131004_193211Das Kirchenrecht hat mich von Beginn meiner Beschäftigung mit dieser Disziplin an sehr fasziniert. Ich hatte schon immer eine gewisse Affinität zur Rechtswissenschaft; ohne dass es je zum Wunsch nach einem Studium der Rechtswissenschaften gereicht hätte. Mir liegt einfach diese sehr exakte, um genaue Begrifflichkeiten ringende Arbeit an Rechts- und Gesetzestexten. Nicht, dass ich das perfekt beherrschen würde. Ich habe schlicht Freude daran. Unter anderem begeistert es mich immer wieder, wenn man einer zunächst sehr abstrakt wirkenden Rechtsvorschrift genauer auf den Grund geht und plötzlich die enorme praktische Relevanz entdeckt, die teilweise nur wenige Wörter enthalten können.

Und so ist das eben auch im Kirchenrecht. Wenn man sich beispielsweise die grundlegende Norm zur Pfarrei im geltenden Gesetzbuch der Kirche ansieht (ich lasse hier Fachvokabular bewusst aus), kann man das recht gut nachvollziehen:

„Die Pfarrei ist eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen, die in einer Teilkirche auf Dauer errichtet ist und deren Hirtensorge unter der Autorität des Diözesanbischofs einem Pfarrer als ihrem eigenen Hirten anvertraut ist.“ (c. 515 §1 CIC/1983)

In diesem einen Satz stecken eine ganze Reihe von Aussagen, die wiederum weitere Aussagen nach sich ziehen. Man betrachte beispielsweise nur einmal die Konstruktion „bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen“. Darin steckt unter anderem die Aussage, dass eine Pfarrei nicht an ein bestimmtes Gebiet wie einen Stadtteil gebunden sein muss. Gleichwohl muss klar sein, wer alles zu dieser Pfarrei gehört. Auch die Verwendung des Begriffs der „Gemeinschaft“ hat etwas zu bedeuten, wie man sich denken kann.

Und in diesem Stil kann man nicht nur diesen Paragraphen, sondern letztlich das gesamte Pfarreienrecht lesen (und natürlich auch den Rest des Kirchenrechts). Manche Punkte bieten mehr Spielraum für Interpretationen, andere sind ziemlich eindeutig. Jedenfalls ist eines klar: Es gibt verschiedenste Möglichkeiten, wie sich die Kirche in einer Diözese strukturieren kann. Und gerade sind die meisten deutschen Bistümer kräftig dabei, diese Möglichkeiten auszutesten. Dabei sind manche erfolgreicher als andere, manche halten sich treuer an den Gesetzesbuchstaben als andere und vor allem sind manche mutiger als andere.

Weshalb es überhaupt zu diesen Umwandlungsprozessen kommt, dürfte den meisten klar sein: Es gibt immer weniger Priester für immer weniger Gläubige in immer größeren Gebieten. Es ist sicherlich noch nicht so weit, dass man den nahen Kollaps der Kirche befürchten müsste, aber die Trends sind eindeutig. Und eindeutig ist daher auch, dass ein Bistum, welches vor ein paar Jahren vielleicht noch 600 Pfarreien hatte, sich darauf einstellen sollte, in den nächsten zehn Jahren mit weniger als der Hälfte an Pfarreien auskommen zu müssen.

Um aber das kirchliche Leben auch unter diesen schwierigen Umständen aufrecht erhalten zu können, braucht es eben Reformen. Man kann das bejubeln oder beweinen; ich sehe das ganz nüchtern als Tatsache, der man sich stellen muss. Während ich manches sicher vermissen werde, freue ich mich über neue Chancen.

Wie ich gerade geschrieben habe, sind diese Prozesse in Deutschland alle recht verschieden. Die einzige wirkliche Gemeinsamkeit ist leider auch ihr größtes Problem: Viel zu viele der Beteiligten haben ein reichlich antiquiertes Bild von „Pfarrei“.

Natürlich sagt das Kirchenrecht ganz klar, dass eine Pfarrei aus einem Pfarrvolk und einem Pfarrer besteht. Während der Kodex (des kanonischen Rechts) die Gemeinschaft von Gläubigen aber an die erste Stelle der Aufzählung und den Pfarrer an den Schluss stellt, machen viele, viele so ziemlich das genaue Gegenteil und definieren die Pfarrei über den Pfarrer. Es lohnt sich, einmal selber darüber nachzudenken, wie viel in der eigenen Pfarrei vom Pfarrer und den anderen Hauptamtlichen abhängig gemacht wird.

Das Kirchenrecht hat dabei eigentlich anderes im Sinn. Zwar spielt der Pfarrer in der Pfarrei zweifelsohne eine zentrale Rolle und ohne ihn wird es nicht gehen, viel wichtiger als die Priesterweihe ist aber erstmal die Taufe. Um eine lebendige, zukunftsfähige Kirche aufzubauen, brauchen wir viele Getaufte, nicht viele Geweihte. Damit setzt das gültige Kirchenrecht die Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils fort; man sagt ja auch oft, dass der Codex Iuris Canonici von 1983 das letzt Konzilsdokument war, bzw. ist (ich empfehle zur Lektüre einmal vor allem die Canones 204 und 208).

Aber genau an dieser Wertschätzung der Taufwürde mangelt es an allen Ecken und Enden. Uns Deutschen stellt dabei auch unsere Sprache ein Bein. Wir sprechen ja immer wieder von „Laien“ und „Ehrenamtlichen“. Beide Begriffe sind in anderen Sprachen, entweder gar nicht bekannt, oder werden schlichtweg nicht so benutzt wie in unserer. Es ist für die Bedeutung eines Amtes, das jemand für die Pfarrei, für die Kirche, ausübt, ja auch zunächst völlig unerheblich, ob er dafür ein Gehalt bekommt oder eben nicht. Leider schlägt sich das in den vielen Diskussionen rund um die genannten Strukturprozesse nicht nieder. Da geht es immer wieder nur um Priesterzahlen, Pfarrstellen, „Hauptamtliche“, usw. Zu einem guten Teil liegt das daran, dass der weitaus größte Teil der Gläubigen in den Prozessen viel zu wenig präsent ist (ich will hier mal nicht näher darauf eingehen, inwiefern auch gewisse Personenkreise vielleicht systematisch ausgeschlossen werden).

Die Situation gestaltet sich dann oft so: „Die Amtskirche“ beschließt Reformen, „die Laien“ fühlen sich nicht ausreichend berücksichtigt und Unmut und große Debatten sind die logische Folge.

IMG_20130627_173241Da wäre es gar nicht so abwegig, der Theologie, also der Wissenschaft, die Rolle der Vermittlerin zu übertragen. Wer als Wissenschaftler etwas auf sich hält, ist schließlich neutral in seiner Beurteilung. Und tatsächlich wurde beispielsweise im Rahmen der Hirschberg-Tagung etwas in dieser Art gemacht: Wissenschaftler haben sich verschiedene Facetten der Strukturprozesse vorgenommen und diese genauer Untersucht, um dann ein Urteil darüber zu fällen, wie gut, vernünftig und performativ diese sind. Allerdings sagt die Bezeichnung als wissenschaftliche Fachtagung schon ziemlich viel darüber aus, welche Kreise das erreichen wird.

Und genau hier ist der Punkt, über den ich in den vergangenen Tagen sehr intensiv nachgedacht habe: Wie schaffen wir es denn, all dieses Denken und diese Erkenntnisse „unters Volk zu bringen“ und fruchtbar zu machen? Tatsächlich habe ich mir diese Frage nicht nur selber gestellt, sondern im Rahmen einer „Junior’s Corner“, einer Diskussionsrunde mit teilnehmenden Studenten und Referenten der Tagung, in die Runde weiter gegeben:

Und die Antwort war eine sehr deutliche:

Wie man das anstellt, ein solcher Multiplikator zu sein, muss wohl jeder für sich herausfinden. Ich fange langsam an, für mich eine Idee zu entwickeln, welche Rolle ich selber in diesem Zusammenhang spielen kann. Jedenfalls merke ich, dass sich meine Sicht auf mein Theologiestudium stetig wandelt. Am Anfang stand das Interesse und die Idee, das „für mich“ zu machen. Aber mehr und mehr merke ich, dass mit dem Wissen auch eine Verantwortung kommt, dieses zu teilen und nutzbar zu machen. Multiplikator zu sein.
Ich werde irgendwann mal darüber bloggen müssen. Ich ahne, dass ein Blog ein gutes Mulitplikationsinstrument sein kann.

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